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Pressemitteilung: Welttoilettentag – über 80 Millionen Deutsche haben keinen Zugang zu nachhaltigen Toiletten.

Der 19. November ist Welttoilettentag. Am 19.11.2022 fand zum fünften Mal das jährliche Treffen des Netzwerks für nachhaltige Sanitärsysteme (NetSan e.V.) statt. An drei Tagen kamen 50 Personen zum fachlichen Austausch und zur Erarbeitung gemeinsamer Projekte in Frankfurt/Main und digital zusammen.


Die Teilnehmerinnen des Netzwerktreffens sind sich einig: Deutschland ist noch nicht gut vorbereitet auf die Herausforderungen der nahen Zukunft.

Mit dem Gang zur Toilette verbraucht ganz Deutschland jedes Jahr über 1 Milliarde Kubikmeter Frischwasser. Das ist mehr als das Volumen der Müritz, dem größten Binnensee Deutschlands. Mit Blick zurück auf die Dürre diesen Sommer müssen wir das existierende wasser-basierte Sanitärsystem hinterfragen. Denn nicht erst in diesem Jahr war in verschiedenen Regionen das Trinkwasser knapp.

Außerdem enthalten menschliche Fäkalien Nährstoffe, die – korrekt aufbereitet und qualitätsgesichert – als Recyclingdünger das Pflanzenwachstum fördern. So könnten verdaute Lebensmittel in Deutschland bis zu 25 % der konventionellen synthetisch-mineralischen Dünger ersetzen. Stattdessen, spülen wir Wertstoffe wie Phosphor und Stickstoff jeden Tag in großen Mengen das WC hinunter.

Und auf der anderen Seite steigen die Düngemittelpreise seit Jahren; in diesem Sommer wurden Stickstoff-Dünger-Fabriken wegen zu hoher Energiepreise abgeschaltet. Wassermangel und hohe Düngerpreise gefährden die Erträge in der Landwirtschaft.

Angesichts der Wasser-, Energie- und Nährstoffkrise wird deutlich, dass eine Sanitärwende nötig ist. Eine Transformation, die zum Ziel hat, mit Ressourcen-schonenden Sanitärsystemen Stoffkreisläufe dezentral, regional, klimafreundlich und sicher zu schließen. So werden Umwelt und Ressourcen geschont und seuchenhygienische Risiken minimiert.

Was ist das Ziel des Netzwerks? Das „Netzwerk für Nachhaltige Sanitärsysteme e.V.“ fand sich 2017 zum ersten Mal zusammen und hat sich 2018 als gemeinnütziger Verein mit den Zwecken Umweltschutz, Bildung sowie Wissenschaft und Forschung gegründet. Kleine und mittelständische Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Vereine, Kollektive, Institute, kommunale Eigenbetriebe und Einzelpersonen haben sich darin zusammengefunden, um Kräfte und Kreativität zu bündeln und sich gemeinsam den großen Aufgaben zu stellen, die zum Einläuten einer Sanitärwende zu bearbeiten sind.

Das Anliegen der Sanitärwende ist es, das Abwassersystem weiter zu entwickeln und fit für die Zukunft zu machen. Es geht darum, dort, wo es ökologisch, wirtschaftlich und technisch sinnvoll und/oder nötig ist, wassersparende, Kreislauf-fähige und Ressourcen-schonende Systeme einzusetzen. Diese Systeme basieren auf dem Prinzip der Stoffstromtrennung, d.h. Regenwasser, Grauwasser, Urin und Fäzes werden getrennt gesammelt und behandelt. Sie sind meist dezentral oder auf Quartiers-Ebene organisiert und können auch hybrid die zentrale Infrastruktur individuell und flexibel ergänzen. Ziel ist es dabei auch, die gesammelten Ressourcen – im Sinne von Kreislaufwirtschaft und Nährstoffwende – zu qualitätsgesicherten Recyclingdüngern für Landwirtschaft und Gartenbau zu verwerten. Mehr dazu siehe www.sanitaerwende.de

Bisher werden die Nutzung innovativer Recyclingdünger aus menschlichen Fäkalien, und die damit verbundene zirkuläre Wertschöpfung, jedoch stark gebremst. Dabei gibt es eine steigende gesellschaftliche Akzeptanz für Trenntoiletten sowie die Verwertung der darin gesammelten Inhalte im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Es fehlen jedoch eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen, unter anderem eine angepasste Düngemittelverordnung, die eine Anwendung von qualitätsgesicherten Recyclingdüngern aus verdauten Lebensmitteln, die nicht im Abwasser landen, zulässt.

Warum gibt es den Welttoilettentag? Zu den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), entworfen und beschlossen von den Vereinten Nationen (United Nation, UN), gehört auch der Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen für alle (SDG Nr. 6). Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass gegenwärtig 2.5 Milliarden Menschen auf der Welt ganz ohne Zugang zu einer angemessenen Sanitärversorgung leben, hat die UN 2001 den Welttoilettentag ins Leben gerufen um das Thema „Sanitärversorgung für Alle“ in die Öffentlichkeit zu tragen.

In Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz sind die Probleme anderer Art: durch das existierende, auch als „End-of-pipe“- oder „Flush-and-Forget“ bezeichnete Sanitärsystem, eine Kombination aus Kanalsystem und Klärwerken, wird der Kreislauf zur Landwirtschaft unterbrochen während die Gewässer mit Nährstoffen, Keimen und Arzneimitteln verschmutzt werden. Daher stellen wir fest: auch über 80 Millionen Deutsche haben keinen Zugang zu nachhaltigen Toiletten und wir brauchen dringend eine Sanitärwende.

Der Fokus des NetSan e.V. liegt daher auf der Implementierung integrierter Ansätze, die den Erhalt und die Verbesserung der Güte von Wasser und Boden fördern und in denen Ressourcenschonung, Klimaschutz und Nährstoffrecycling zusammenwirken. Dazu entwickeln, bauen, verkaufen, vermieten, betreiben und nutzen die Akteurinnen des NetSan e.V. verschiedene Toilettensysteme für Gärten, Veranstaltungen und Ein- und
Mehrfamilienhäuser. Sie entwickeln sozio-technische Verwertungssysteme für Urin und Feststoffe aus
Trockentoiletten oder Babywindeln. Und durch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit (www.ydks.de) setzt sich
der NetSan e.V. für eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der Sanitär- und Nährstoffwende ein.


Was geschah dieses Jahr zum Welttoilettentag?
Auf dem diesjährigen Netzwerktreffen in Frankfurt wurde am Freitag zunächst die Mitgliederversammlung des NetSan e.V. abgehalten. Am Samstag, den 19.11.22, gab es dann vor allem Raum für fachlichen Austausch zwischen den Mitgliedern und ein vielfältiges Programm an spannenden Kurzvorträge zu Toiletten- und Recycling-Verwertungssystemen, die Mitglieder des Netzwerks als Beiträge mitgebracht haben. So gab es z.B. Berichte aus dem BMBF-Forschungsprojekt „REGION.innovativ zirkulierBAR“ und dem EU-Forschungsprojekt „P2Green“; in beiden, vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) e.V. aus Großbeeren koordinierten Projekten sind Akteurinnen aus dem NetSan e.V. beteiligt. Außerdem wurde am Samstagnachmittag in einem festlichen Teil sowohl der Welttoilettentag gefeiert, als auch der 5. Geburtstag des Netzwerktreffens sowie den 4. Geburtstag des NetSan e.V. Für einen kurzen schönen Moment haben wir uns über die digitale Brücke mit unseren Kolleginnen aus der Schweiz getroffen, die ebenfalls am 19.11. ihr Netzwerktreffen abhalten und den 1. Geburtstag von Valoo – dem Netzwerk für kreislauffähige Sanitärsysteme Schweiz gefeiert haben.